800 Jahre St. Johannis-Spital-Stiftung Passau. Gegenwart und Geschichte einer sozialen Einrichtung. Aus "Der Passauer Wolf" Band 15, Schriftenreihe des Stadtarchivs Passau

Pflege im Wandel - vom Mittelalter bis Heute
Dagmar Deragisch


Jedes Tun - auch das der Pflege - wird geprägt von zeit- und kulturabhängigen Gegebenheiten. Das Welt- und Menschenbild einer Gesellschaft beeinflusst auch jene Strukturen und Werte, die in der Pflege relevant sind.

Im Mittelalter, als das St. johannis-Spital gegründet wurde, war der Beweggrund für die Pflege hilfsbedürftiger Menschen "die Vorstellung damit gottgefällige Werke zu tun" (Arets, 1999,5.44) und sich damit einen Platz im Himmel zu sichern. Dafür musste man ein vorbildliches Leben führen, ein Leben in Armut, Keuschheit und Gehorsam. Die Insassen (so hießen die Bewohner damals) hatten "während ihrer Unterbringung täglich für die Stifter zu beten" (Glück, 1978, S.25).

Im Mittelpunkt der Bemühungen stand die Verhütung von Armut und die Entbehrungen von Besitzlosen zu lindern. Die Pflege beschränkte sich auf "Werke der Barmherzigkeit" (Arets, 1999, S.46): Hungernde speisen, Durstigen zu trinken geben, Nackte kleiden, Fremde und Obdachlose beherbergen, Kranke versorgen, Tote beerdigen. Die Schwestern mögen sich gegenseitig zwar gezeigt haben, wie man Kranke bettet, wie man Füße wäscht, wie man Durstige aufrichtet, aber dies ändert nichts an der Tatsache, dass in fast allen Hospitälern jener Zeit kein Platz für eine erwerbsmäßig ausgeübte Pflege gewesen ist.

Gab es Personen, die Pflege gegen Entgelt ausführten, so war deren Ansehen gering. Die Dienstzeit dieser Krankenwärterinnen war lang (ca. 16 Stunden täglich), die Bezahlung dafür schlecht. Die christlichen Ursprungswerte gingen dort verloren, wo sie nicht bewusst gepflegt wurden. Losgelöst von der religiösen Motivation wurde Pflege zum sinnentleerten, untergeordneten "Mägdedienst".

Mit der Zeit der Aufklärung stürzte das alte Weltgefüge ein, die Suche nach Wahrheit und Erkenntnis, die die Wissenschaft beherrschte, hatte auch Auswirkungen auf die Pflege. Eine starke Orientierung am naturwissenschaftlichen Weltbild der Medizin erfolgte. Rationalisierung und Technik beeinflussten den Beruf. Alles was messbar, zählbar, analysierbar war, gewann an Bedeutung, gleichzeitig geriet die Pflege selbst in den Hintergrund. Die Pflegerinnen waren unmissverständlich dem Arzt unterstellt. Sie wurden lediglich als Personen betrachtet, die den Arzt zu unterstützen hatten.

Im Mittelpunkt der Anforderungen stand nicht die Ausbildung, sondern persönliche Eigenschaften: Pflichtbewusstsein, Diensteifer, Gehorsamkeit, Selbstaufopferung, Gefügigkeit. Die Pflege war damals ein reiner Frauenberuf. Heute ergreifen auch Männerden Pflegeberuf. Eine staatlich geregelte praktische und theoretische Ausbildung ist Grundlage für die Ausübung professioneller Pflege. Empirie und wissenschaftliche Forschung begründen Pflegehandlungen. Das selbständige Erstellen pflegerischer Diagnosen, die Planung, Durchführung und Evaluation der Pflege gehören heute selbstverständlich zum Beruf. Die Aufgaben sind vielfältig:

Gesundheit fördern, Krankheit verhüten, Gesundheit wiederherstellen und Leiden lindern. Über das erworbene Fachwissen hinaus benötigt jede professionelle Pflegekraft eine Reihe von Fertigkeiten, die sich meisterst mitzunehmender Berufserfahrung festigen. Hierzu gehören zum Beispiel die Begleitung in Grenz- und Krisensituationen, sich Einlassen können auf Beziehungen, ständige Aktualisie-rung des eigenen Wissens, Innovation und Kreativität, Frustrationstoleranz sowie die Fähigkeit zur Selbstanalyse und Selbstpflege.

Zum Abschluss stellt sich die Frage nach der Zukunft der Pflege. Gewünscht und gefordert wird eine ganzheitliche und professionelle Pflege. Die dafür nötigen Schritte müssen sowohl in der Theorie als auch in der Praxis erfolgen. Pflege mit Zukunft braucht Personen mit Offenheit und Wandlungsfähigkeit; Offenheit meint auch Kritikfähigkeit, sich selbst und seiner Geschichte gegenüber, Wandlung ist die Konsequenz aus neuem Denken, das sich in konkretes Handeln umsetzen muss. Dieser Aufgabe können wir uns stellen, oder wir können uns verweigern. Ersteres ist anstrengend und manchmal unbequem (und deshalb nicht für alle wünschenswert), letzteres aber ist ohne Zukunft.

Bei allem Neuen sollten wir nicht vergessen: Wir stehen nicht am Anfang, professionelle Pflege ist kein "Novum", sondern eine Weiterführung.

Dagmar Deragisch





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Kranke in einem Spital lagen bis in die Neuzeit zu mehreren in einem Bett; Votivbild aus der Wallfahrtskirche Sammerei, 1745 Harnkachel, 18. Jhd. und Pillenbrett, 19. Jhd.






Literaturangaben; Schriftenreihe des Stadtarchivs Passau "Der Passauer Wolf"; Bildnachweis: Bayerisches Nationalmuseum, München, Abb. 1, Oberhausmuseum, Passau, Abb. 2; Herausgegeben im Auftrag der St. Johannis-Spital-Stiftung; 2000, Stadt Passau
Unterverzeichnis:

Grußwort Dr. Franz Xaver Eder

Grußwort Willi Schmöller

Vom Spitalmeister zur
ehrenamtl. Verwaltungsrätin
Karin Trautner

Historie der
St. Johannis-Spital-Stiftung
Richard Schaffner

Das Stiftungswesen in der
Stadt Passau
Johann Hantschel
Thomas Bahle

Der forst und landwirtschaftliche
Betrieb
Reinhard Bauer

Johannes der Täufer
als Spitalpatron
Rainer Kolm

Die Orgel
Wolfgang Eisenbarth

Die Kirche St. Johann mit ihren
neugotischen Altären
Franz Mader

Ein Kirchenjahr in St. Johann
Leopold Kantner

Pflege im Wandel - vom
Mittelalter bis Heute
Dagmar Deragisch

Leben im Seniorenheim
St. Johannis-Spital-Stift
Ludwig Niederberger
Susanne Moser

Heimbewohner erzählen:
Martin Biegler u. Agnes Gugger
Dagmar Deragisch

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